Hier einige Unterschiede:

- Inzwischen weiß es wohl jeder: Coaching ist keine Psychotherapie und darf sie auch gar nicht beabsichtigen. Coaching wendet sich an Gesunde (zumindest ohne akute und behandlungsbedürftige psychische Störung) und ist primär Hilfe zur Selbsthilfe – Psychotherapie ist ein Heilverfahren für Menschen mit psychischen Störungen, die »Krankheitswert« besitzen, für die also eine anerkannte Diagnose zutrifft.
- Coaches und Therapeuten arbeiten also mit verschiedenen Menschen. Coaching hat eine andere Zielgruppe: Hier geht es nicht um Erkrankungen, sondern um Probleme, Fragen oder Entwicklungsziele gesunder Menschen. Im Coaching gibt es keine Patienten und meist auch keine Ratsuchenden, sondern Klienten, die Prozessbegleiter für ihre eigene Entwicklung suchen.
- Anlässe und Ziele von Coaching und Therapie unterscheiden sich. Bei der Therapie geht es um die Behandlung von Störungen. Der ökonomische Druck auf die Krankenkassen wird in Zukunft zunehmend dafür sorgen, dass darüber hinausgehende Anliegen nicht mehr zu Lasten der Kassen und damit der Allgemeinheit gehen. Im Coaching dagegen kann es auch um Persönlichkeitsentwicklung und -entfaltung, um mehr Lebenszufriedenheit oder das Erreichen bestimmter Ziele gehen. Hier geht es nicht nur um Probleme und Linderung von Leiden, sondern oft um eine methodische Unterstützung eigener selbstverantworteter Veränderungsprozesse.
- »Coach« oder auch »Therapeut« darf sich in Deutschland jeder völlig ohne Voraussetzungen nennen. Die Berufsbezeichnung »Psychologe« oder »Psychotherapeut« ist jedoch Psychologen mit akademischem Abschluss und anerkannter psychotherapeutischer Zusatzausbildung vorbehalten. Die Regelstudienzeit für das Fach Psychologie beträgt etwa 5 Jahre (in der Praxis oft mehr), die anschließende psychotherapeutische Ausbildung etwa 3 Jahre in Vollzeit oder 5 Jahre in Teilzeit (in der Praxis oft mehr). Darin enthalten sind in der Regel ca. 1200 Stunden praktische und supervidierte Tätigkeit in einer psychiatrischen Einrichtung und 600 Stunden in einer psychosomatischen oder ambulanten therapeutischen Einrichtung. Welche Coaching-Ausbildung kann sich damit messen?
- Die Qualität von Coaching lässt sich aber nicht unbedingt an der Dauer der Ausbildungen messen. Sie sind keine »Grundausbildungen«, sondern sind Weiterbildungen für erfahrene Berater mit psychosozialem Grundberuf, die eine Beratungsform außerhalb der klassischen problembezogenen Beratungsangebote erlernen möchten. Coaching-Ausbildungen liefern ein breiteres Methodeninventar für spezielle Beratungsziele, die in der Regel nicht Gegenstand von Psychotherapie sind. Coaching bedient sich also auch anderer Methoden. Auch wenn es der Psychotherapie viel verdankt (siehe unten!), nutzt es darüber hinaus auch eigene Methoden und Tools, die der (gesunden) Zielgruppe und deren Anliegen dienen.
- Coaching fußt zwar meist auf wissenschaftlicher Psychologie, kann aber ganz unterschiedliche theoretische Voraussetzungen haben oder auch darauf verzichten und reines Erfahrungswissen anwenden. Gute Coaches legen ihren Klientinnen und Klienten darüber vorab ungefragt Rechenschaft ab, zum Beispiel in einem Beratungsvertrag.
- Psychotherapie muss sich auch daran messen lassen, ob sie »lege artis«, also nach den Regeln ihrer Zunft ausgeübt wird, auch wenn die frühere strikte Trennung der psychotherapeutischen Schulen inzwischen einer zunehmend integrativen Praxis weicht. Coaching ist dagegen grundsätzlich pragmatisch, und damit multimodal und methodenübergreifend angelegt. Untersuchungen deuten darauf hin, dass eine methodenplurale Herangehensweise nicht minder effektiv sein muss als die Beschränkung auf eine bestimmte Methodik. Letztlich zählt das erreichte Ergebnis.
- Coaching und Psychotherapie sind damit, wie schon deutlich geworden, an sich nur unterschiedliche »Formate« der Beratung von Menschen. Beide sind auf Kooperation mit dem Gegenüber angewiesen, auf ein Miteinander. Dennoch haben diese Formate in der Regel einen Unterschied in der Beziehung zwischen Coach / Therapeut und Klient / Patient: während ein Therapeut in einem festen Setting »behandelt«, ist ein Coach vornehmlich ein Prozessbegleiter, der mit dem Klienten auf Augenhöhe steht und in seiner Beziehungs- und Prozessgestaltung wesentlich freier ist.
Es gibt aber auch viele Gemeinsamkeiten:

- Coaching bedient sich häufig Methoden aus unterschiedlichen Psychotherapieverfahren. Und zwar quer durch alle sonst eher getrennten psychotherapeutischen Schulen, entlehnt aus psychodynamischen, verhaltenstherapeutischen, humanistischen, körperorientierten, systemischen oder neueren eigenständigen Verfahren, wie etwa der Hypnotherapie. Oft ist es der überwiegende Teil der Methodik von Coaches, der aus der Psychotherapie stammt. Gerade auch die Coaching-Methode NLP hat sich hier kräftigt bedient und oft nur im »NLP-Sprech« umgetauft (wiewohl sie sich auch eigener Verfahren bedient, die von der wissenschaftlichen Psychologie strikt abgelehnt werden). Hier gibt es also insgesamt gesehen sehr viele Gemeinsamkeiten in Methoden und Verfahren, am häufigsten auf kognitiv-behavioraler und kognitiv-emotiver Grundlage, wie zum Beispiel die kognitive Umstrukturierung.
- Auch wenn Coaching sich nicht therapeutisch mit psychischen Störungen befasst, gibt es auch dort Berührungspunkte. Störend erlebte Beeinträchtigungen können durchaus Thema eines Coaching-Prozesses sein, wenn sie noch keinen »Krankheitswert« besitzen, der von den diagnostischen Systemen ICD-10 und DSM-V definiert wird. Entsprechend geschulte Coaches können dazu beitragen, dass die Beeinträchtigung erst gar keinen Krankheitswert bekommt. Sie können im gesundheitlichen Sinne präventiv wirken oder in der Rezidivprophylaxe Leistungen erbringen, die das Gesundheitssystem nicht erfasst. Gerade im Bereich von Stress, Überforderung, psychischer Kränkung, Erschöpfung und Burn-out kann Coaching nicht selten Menschen davor bewahren, daran zu erkranken.
- Sowohl in der Psychotherapie wie auch im Coaching ist erwiesen, dass der Beziehung zwischen Coach / Therapeut und Klient / Patient eine entscheidende Rolle für den Erfolg der Intervention zukommt. Während unterschiedliche Methodiken, ja sogar unterschiedlich identifizierte Schlüsselfragen nicht unbedingt über den Erfolg entscheiden müssen, ist diese Beziehung in beiden Beratungs-Formaten die Grundlage für all das, was dadurch erst möglich wird. Die Persönlichkeit des Coaches / Therapeuten und der »Stimmigkeit« in der Beziehungsgestaltung und im Erleben des Klienten / Patienten ist hier wie da ein entscheidender Faktor, der sich nicht allein durch Ausbildung erreichen lässt. Alle Beratungsformate hängen an den sozialen Fertigkeiten der Beratenden, die im Wesentlichen eine »Begabung« sind.
- Viele zentrale professionelle Fähigkeiten sind für Therapeuten wie Coaches dieselben: z.B. die Gestaltung des richtigen Verhältnisses von Nähe und Distanz oder der Balance von annehmender, akzeptierender Haltung und Herausforderung des Gegenübers.
- Therapeuten und Coaches erlangen gleichermaßen Kenntnis von sehr privaten Inhalten. Daher ist es für beide wichtig, sich auf eine Berufsethik zu verpflichten und dem Klienten / Patienten zugänglich zu machen.
- Vielleicht ist für Therapeuten wie Coaches die wichtigste Eigenschaft die, ihre Tätigkeit nicht nur als »Job« zu verstehen, sondern echtes Interesse am anderen zu entwickeln – und wenn es nur für eine kurze Strecke des Weges ist, getreu der Einsicht Martin Bubers: »Alles wirkliche Leben ist Begegnung.«
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