Im Coaching verdankt sich vieles der Psychotherapie, auch wenn man beide klar unterscheiden muss. In meinem Beitrag »Coaching und Psychotherapie – Unterschiede und Gemeinsamkeiten« habe ich das näher ausgeführt.
Psychoanalyse, Verhaltenstherapie, Klientenzentrierte Psychotherapie, Hypnotherapie – blicken Sie da noch durch? Darum hier der Versuch, einen kleinen Überblick über die verschiedenen psychotherapeutischen Schulen zu liefern.
Ich liebe es, Überblicke und Zusammenhänge auf möglichst einem Blatt darzustellen. Im weiten Feld der psychotherapeutischen Verfahren ginge das nur unter Verzicht auf Aussagekraft – es gibt einfach so viele davon. Nun sind es doch 3 Seiten geworden, die Sie hier als PDF herunterladen können. Sie finden dort Hinweise auf die Begründer, Stichworte zu den Denkmodellen und Methoden und meine subjektiven (!) Notizen zum Menschenbild, zu den Stärken und zu den Schwächen der jeweiligen Schulen und Verfahren.
Die bei uns verbreitetsten Verfahren (es sind mehrere Dutzend) lassen sich ganz grob in fünf Gruppen einordnen:
- Psychodynamische (tiefenpsychologische / psychoanalytische) Verfahren. Man kann sie als konfliktorientierte, deutende, einsichtsorientierte Verfahren beschreiben. Sie gehen von prädisponierenden Faktoren aus, also von früh erworbenen Eigenheiten, die sich aktuell auswirken. Die psychodynamischen Verfahren basieren stärker als die verhaltenstherapeutischen Verfahren auf Erfahrung und Deutung. Ihr Fokus liegt stärker auf Entwicklungsstörungen und inneren Konflikten, die reifer verarbeitet werden sollen: hier geht es eher um Defizite, die gemindert werden sollen. Zu diesen Verfahren gehört die Psychoanalyse (PA), die Individualpsychologische Psychotherapie (IP), die Analytische Psychotherapie (AP) und die Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie (TP), die manches aus den anderen psychodynamischen Ansätzen praktikabel integiert. Alle sind in Deutschland krankenkassenzugelassen, die letztere ist die zweithäufigst angewandte.
- Verhaltenstherapeutische Verfahren (VT). Man kann sie als handlungsorientierte, übende Verfahren beschreiben. Sie stützen sich ausschließlich auf die Ergebnisse der empirisch-wissenschaftlichen Psychologie, insbesondere der Lerntheorie und der Kognitionsforschung. Der Fokus liegt auf dem aktuellen Verhalten und Erleben. Die Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) ist die bei uns am häufigsten angewandte Therapieform. Die Rational-Emotive Verhaltenstherapie (REVT) gehört an sich dazu und ist in der Praxis meist in die KVT integiert. Früher standen sich die psychodynamischen und verhaltenstherapeutischen Schulen recht unversöhnt gegenüber (Vorwürfe: TP zu spekulativ, VT zu rationalistisch), diese Trennung ist jedoch inzwischen zugunsten integrativer Weiterentwicklung der Verfahren einigermaßen überwunden.
- Humanistisch-existenzielle Verfahren. Sie lassen sich als Entwicklungs-, sinn- und erlebensorientierte Verfahren beschreiben. Sie gehen von einer geisteswissenschaftlichen Sicht des Menschen aus, der in sich gut ist und nach Autonomie, persönlichem Wachstum und Selbstverwirklichung (Selbstaktualisierung) strebt. Eine optimistische Sicht des Menschen, der sich im Wesentlichen selbst zum Besseren hin entwickelt. Der Fokus liegt im Hier und Jetzt. Dazu kann man z.B. die Klientenzentrierte Psychotherapie (KP) zählen, die Gestalttherapie (GT), das Psychodrama und die Logotherapie / Existenzanalyse (EL), die den »Willen zum Sinn« heraushebt. Diese Verfahren haben zwar in Deutschland keine Kassenzulassung, in anderen Ländern sehr wohl.
- Systemische Verfahren: Sie berücksichtigen nicht nur das soziale System, in dem der Betreffende lebt, sondern arbeitet auch mit ihm. So z.B. in der Systemischen (Familien-) Therapie, der Interpersonellen Psychotherapie (IPT) oder den »Aufstellungsverfahren« wie der Systemischen Strukturaufstellung (SySt). »Systemisch« ist zurzeit ein Modewort geworden – so schmücken sich denn auch viele andere mit dem Begriff, die nicht mit dem System arbeiten. Nur die IPT hat eine (eingeschränkte) Kassenzulassung.
- »Eigenständige Verfahren«: Ich habe sie so benannt, weil sie keiner anderen Gruppe zuzuordnen sind. Sie sind teilweise keine dezidiert psychotherapeutischen Verfahren, haben aber ähnliche Zielrichtungen und in der Praxis recht weite Verbreitung. Das wären z.B. so unterschiedliche Ansätze wie die Lösungsorientierte Kurztherapie, die Hypnotherapie oder das Neurolinguistische Programmieren (NLP).
Die Liste ist keineswegs vollständig, sondern soll einen beispielhaften Überblick über die bekanntesten Verfahren geben. Daneben gibt es noch weitere Gruppen von im weiteren Sinne psychotherapeutischen Verfahren, z.B. die Musiktherapie (aktiv oder rezeptiv) oder die Gruppe der körperorientierten Methoden, z.B. die Integrative Bewegungstherapie (IBT), die Biodynamische Körperpsychotherapie, das Focusing, die Strukturelle Körpertherapie (SKT), die Feldenkrais-Methode und viele andere mehr. Das Indikationsspektrum ist hier jedoch spezieller als bei den psychotherapeutischen Verfahren im engeren Sinne.
Alle diese Verfahren sind – richtig angewendet – wirksam und hilfreich, auch wenn nur bei wenigen dieser Verfahren die Kosten von den Krankenkassen erstattet werden.
Eine andere Frage ist die wissenschaftliche »Anerkennung« dieser Verfahren. Der Wissenschaftliche Beirat Psychotherapie in Deutschland (www.wbpsychotherapie.de) überprüft laufend die Wissenschaftlichkeit und die Wirkungsnachweise der Verfahren für psychische Störungen. Zu den »anerkannten Verfahren« zählen z.B. auch die Klientenzentrierte Psychotherapie seit 2002 und die Systemische Therapie seit 2008. Zunächst ist damit jedoch noch keine Aufnahme dieser Therapieverfahren in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen verbunden. Das bedeutet nicht, dass die anderen Verfahren nicht wirksam wären – nur eben eher weniger oder nicht im Bereich psychischer Störungen mit Krankheitswert. Andere Verfahren, wie etwa die Psychodramatherapie, haben keine Anerkennung erhalten, weil die entsprechenden Studien den gängigen Kriterien in keiner Weise entsprechen. Das heißt aber nicht, dass Menschen solche Verfahren nicht als hilfreich erleben könnten.
Aber nicht alles, was angeboten wird, ist auch hilfreich oder unproblematisch. Auf dem großen Markt der Möglichkeiten tummeln sich nicht nur seriöse Anbieter. Nicht umsonst redet man auch vom »Psychomarkt«, auf dem große Umsätze auch mit fragwürdigen Ansätzen und Methoden erzielt werden. Er ist voll von Psychotechniken mit großartigen Wirkungsversprechen und pseudowissenschaftlichen Methoden. »Pseudowissenschaftlich« deswegen, weil diese Verfahren sich alle erdenkliche Mühe geben, sich einen wissenschaftlich anmutenden Background zu geben, der aber den gängigen Anforderungen nicht im mindesten entspricht: eine echte Rosstäuscherei! Nicht selten sind diese »wissenschaftlich« begründeten Verfahren für die Fachwelt einfach nur lächerlich – auch, wenn man ihnen eine Wirksamkeit nicht absprechen kann. Nur dass dort anderes wirkt, als behauptet. Mode sind derzeit z.B. viele Techniken, die sich auf »Erkenntnisse der Hirnforschung« berufen, dort aber eher Heiterkeit hervorrufen.
Andere solcher Angebote und Verfahren haben einen weltanschaulichen Hintergrund, bedingen also eine Akzeptanz bestimmter transzendenter Inhalte. Oft wird dieser Hintergrund verschwiegen, indem die Glaubensinhalte und Annahmen als selbstverständliche Realitäten dargestellt werden. Hier geht es oft um »Energien« oder Zusammenhänge im Körper, die nicht nachweisbare Behauptungen darstellen. Seriöse Anbieter unterscheiden jedoch zwischen wissenschaftlich zu Begründendem (evidenzbasiertem) und Glaubensinhalten / persönlichen Überzeugungen und benennen beides als solches. Glauben Sie, was Sie glauben wollen und was gut für Sie ist, aber lassen Sie sich nichts insgeheim »unterjubeln«.